Heikvaldo: Tango-Argentino - Erfahrungen

Heikvaldo: Unerwartete "Erkenntnisse"

(Kommentare: 0)

 

Langeweile. Die abendliche Milonga ist mir zu viel. Das Wetter verhindert Outdoor-Betätigung. Was also tun? Klar, ich geh' mal wieder in einen Anfängerkurs. Dort sind Ersatzmänner ja meist gerne gesehen. So auch heute. Einer fehlt noch. Da komme ich ja gerade recht.

 

Es ist die dritte Stunde im Kurs. Besagte Frau hat jedoch mangels Tanzpartner bisher nur "theoretisch" mitgetanzt. Ist also tangotechnisch noch total unschuldig. Wir sollen Gehen. Hmmmh. Ich hatte auf etwas Spannenderes gehofft. Aber ich wollte es ja so. Also gut. Nein, auch noch keine Standard- oder sonstige Tanzerfahrung erklärt sie mir auf Nachfrage. Es wird also echte Pionierarbeit.

 

Die ersten Schritte fallen erwartungsmäßig ziemlich schwierig aus. Das Übliche halt. Oberkörper ist nach hinten gebeugt (klar, ich bin ja auch ein fremder Mann). Die Rückwärtsschritte fallen ziemlich klein aus (und deswegen begegnen sich unsere Zehen auf sehr "intime" Art). Also erst noch einmal ein paar von diesen "Besserwisser"-Sprüchen. Sinn des Einpendelns. Nur immer ein Bein belasten bitte, keine "unerlaubten" Fußwechsel.

 

Aber natürlich kann ich nicht über die Vorteile der Oberkörpernähe mit ihr plaudern. Sie ist auch so schon Puderrot im Gesicht. Also dann. Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen. Nein, kein Problem (dass sie mir zum fünften Mal auf den Fuß tritt). Alles okay (sie blieb eben stehen, als ich zur Seite ging). Alles locker. Ich beruhige sie. Alles ist in bester Ordnung. Das wird schon (ich glaube, das vermissen viele Frauen an ihren Männern/Partnern im Kurs: diese Ruhe. Keine Vorwürfe, wenn es nicht klappt. Keine Schuldzuweisung).

 

Jetzt wird es mir aber wieder einmal bewusst. Sie braucht die absolut perfekte Führung!!!!! Das ist der Unterschied zu den anderen Tänzerinnen. Sobald ein bisschen Erfahrung vorliegt, "verstehen" sie auch "undeutliche Aussprache". Hier aber ist keinerlei Vorwissen vorhanden. Diese Frau muss maximal unterstützt werden. Also, Oberkörper unter Spannung setzen, deutliche Impulse VOR dem Gehen.

 

Der Begriff Führung ist wortwörtlich zu nehmen. Ich muss sie anleiten. Ich darf ihr eigentlich gar keinen Spielraum für Interpretationen geben. Alles muss eindeutig und gewissermaßen "erzwungen" sein. Sie darf gar keine Chance bekommen, etwas anderes zu tun, als das was ich von ihr will. Das jetzt aber bitte nicht verwechseln! Es muss ohne Druck (in den Händen und Armen) erfolgen und es darf bei ihr keinesfalls negative Emotionen auslösen.

 

Das genau ist die Kunst. Ich muss sie voll unter Kontrolle haben und trotzdem muss es für sie angenehm sein. Sie muss das als Hilfe sehen. Ich muss also vollkommen entspannt dabei bleiben. Trotzdem die erforderliche Oberkörperspannung bzw. unseren "Kontaktring" der Arme aufrecht erhalten. Ich hatte ihr bereits erklärt, warum ich einen kleinen Gegendruck ihres rechten Armes brauche. Jetzt versteht sie auch warum. Sobald ihr Arm nicht mehr "schlapp" ist, klappt die nonverbale Verständigung gleich ganz anders.

 

Und siehe da. Nach etwa einer Stunde Gehen wir halbwegs vernünftig. Sie läuft rückwärts. Ich kann seitlich an ihr "vorbei" laufen. Sie versteht Seitwärtsschritte. Ich erkläre noch einmal die Sache mit der Oberkörperachse ("ich führe nicht mit den Armen, sondern schau auf meinen Oberkörper"). Aha. Und dann ganz langsam eine kleine Drehbewegung und sie steht fertig zum Rückwärtsocho.

 

Klar, die Sache mit welchem Bein jetzt läuft noch ab und zu schief. Sie hat ihr Bein abgestellt und ist dann mit dem anderen los. Aber sie hat den Sinn soweit verstanden, dass ich sie beliebig links- oder rechtsherum zum Ocho drehen kann. Und langsam geführte Ochos kann sie auch. Sieht sicher lange noch nicht perfekt aus, aber sie bekommt Spaß an der Sache. Und das ist doch der Sinn. Sie beginnt zu lächeln. Das Puderrot wird langsam wieder rosa. Die Stunde hat ihr gefallen.

 

Und warum erzähle ich euch das alles? Ich möchte euch ermutigen, auch einmal wieder bei den Anfängern vorbei zu schauen oder mit einem Anfänger zu üben. Zum einen lernt ein Anfänger viel schneller, wenn der Gegenüber schon Erfahrung hat. Zum anderen könnt auch ihr dabei vermutlich noch etwas lernen. Ich dachte ja, was soll ICH in der dritten Tangostunde noch lernen? Aber, lieber Heikvaldo, da hat dir diese "kleine" Anfängerin bei längst-erlernt-geglaubtem 'mal wieder etwas "beigebracht". Und davon werden dann vermutlich all die anderen Frauen auf der Milonga heute Abend profitieren ;-)

 

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Langeweile. Die abendliche Milonga ist mir zu viel. Das Wetter verhindert Outdoor-Betätigung. Was also tun? Klar, ich geh' mal wieder in einen Anfängerkurs. Dort sind Ersatzmänner ja meist gerne gesehen. So auch heute. Einer fehlt noch. Da komme ich ja gerade recht.

 

Es ist die dritte Stunde im Kurs. Besagte Frau hat jedoch mangels Tanzpartner bisher nur "theoretisch" mitgetanzt. Ist also tangotechnisch noch total unschuldig. Wir sollen Gehen. Hmmmh. Ich hatte auf etwas Spannenderes gehofft. Aber ich wollte es ja so. Also gut. Nein, auch noch keine Standard- oder sonstige Tanzerfahrung erklärt sie mir auf Nachfrage. Es wird also echte Pionierarbeit.

 

Die ersten Schritte fallen erwartungsmäßig ziemlich schwierig aus. Das Übliche halt. Oberkörper ist nach hinten gebeugt (klar, ich bin ja auch ein fremder Mann). Die Rückwärtsschritte fallen ziemlich klein aus (und deswegen begegnen sich unsere Zehen auf sehr "intime" Art). Also erst noch einmal ein paar von diesen "Besserwisser"-Sprüchen. Sinn des Einpendelns. Nur immer ein Bein belasten bitte, keine "unerlaubten" Fußwechsel.

 

Aber natürlich kann ich nicht über die Vorteile der Oberkörpernähe mit ihr plaudern. Sie ist auch so schon Puderrot im Gesicht. Also dann. Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen. Nein, kein Problem (dass sie mir zum fünften Mal auf den Fuß tritt). Alles okay (sie blieb eben stehen, als ich zur Seite ging). Alles locker. Ich beruhige sie. Alles ist in bester Ordnung. Das wird schon (ich glaube, das vermissen viele Frauen an ihren Männern/Partnern im Kurs: diese Ruhe. Keine Vorwürfe, wenn es nicht klappt. Keine Schuldzuweisung).

 

Jetzt wird es mir aber wieder einmal bewusst. Sie braucht die absolut perfekte Führung!!!!! Das ist der Unterschied zu den anderen Tänzerinnen. Sobald ein bisschen Erfahrung vorliegt, "verstehen" sie auch "undeutliche Aussprache". Hier aber ist keinerlei Vorwissen vorhanden. Diese Frau muss maximal unterstützt werden. Also, Oberkörper unter Spannung setzen, deutliche Impulse VOR dem Gehen.

 

Der Begriff Führung ist wortwörtlich zu nehmen. Ich muss sie anleiten. Ich darf ihr eigentlich gar keinen Spielraum für Interpretationen geben. Alles muss eindeutig und gewissermaßen "erzwungen" sein. Sie darf gar keine Chance bekommen, etwas anderes zu tun, als das was ich von ihr will. Das jetzt aber bitte nicht verwechseln! Es muss ohne Druck (in den Händen und Armen) erfolgen und es darf bei ihr keinesfalls negative Emotionen auslösen.

 

Das genau ist die Kunst. Ich muss sie voll unter Kontrolle haben und trotzdem muss es für sie angenehm sein. Sie muss das als Hilfe sehen. Ich muss also vollkommen entspannt dabei bleiben. Trotzdem die erforderliche Oberkörperspannung bzw. unseren "Kontaktring" der Arme aufrecht erhalten. Ich hatte ihr bereits erklärt, warum ich einen kleinen Gegendruck ihres rechten Armes brauche. Jetzt versteht sie auch warum. Sobald ihr Arm nicht mehr "schlapp" ist, klappt die nonverbale Verständigung gleich ganz anders.

 

Und siehe da. Nach etwa einer Stunde Gehen wir halbwegs vernünftig. Sie läuft rückwärts. Ich kann seitlich an ihr "vorbei" laufen. Sie versteht Seitwärtsschritte. Ich erkläre noch einmal die Sache mit der Oberkörperachse ("ich führe nicht mit den Armen, sondern schau auf meinen Oberkörper"). Aha. Und dann ganz langsam eine kleine Drehbewegung und sie steht fertig zum Rückwärtsocho.

 

Klar, die Sache mit welchem Bein jetzt läuft noch ab und zu schief. Sie hat ihr Bein abgestellt und ist dann mit dem anderen los. Aber sie hat den Sinn soweit verstanden, dass ich sie beliebig links- oder rechtsherum zum Ocho drehen kann. Und langsam geführte Ochos kann sie auch. Sieht sicher lange noch nicht perfekt aus, aber sie bekommt Spaß an der Sache. Und das ist doch der Sinn. Sie beginnt zu lächeln. Das Puderrot wird langsam wieder rosa. Die Stunde hat ihr gefallen.

 

Und warum erzähle ich euch das alles? Ich möchte euch ermutigen, auch einmal wieder bei den Anfängern vorbei zu schauen oder mit einem Anfänger zu üben. Zum einen lernt ein Anfänger viel schneller, wenn der Gegenüber schon Erfahrung hat. Zum anderen könnt auch ihr dabei vermutlich noch etwas lernen. Ich dachte ja, was soll ICH in der dritten Tangostunde noch lernen? Aber, lieber Heikvaldo, da hat dir diese "kleine" Anfängerin bei längst-erlernt-geglaubtem 'mal wieder etwas "beigebracht". Und davon werden dann vermutlich all die anderen Frauen auf der Milonga heute Abend profitieren ;-)

 

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